Band XXIV: Das schöne, neue Leben

ISG-Schriftenreihe „Praktische Psychologie“ Band XXIV
herausgegeben von Dieter Korczak
ISL-Verlag, Hagen 2001, ISBN 3-933842-55-7
239 Seiten, DM 34,80

DAS SCHÖNE, NEUE LEBEN

Die in diesem Band versammelten Essays versuchen, die sich am Horizont abzeichnende ’schöne, neue Welt‘ des 21. Jahrhunderts zu erahnen.

Für den Tucholsky-Preisträger Harry Pross wird die menschliche Entwicklung von Neugier, Langeweile und Profitstreben bestimmt. Dieter Korczak sieht am Ende dieses kollektiven Prozesses der Selbstauflösung Sex, Drogen, Brot und Spiele für die Masse, optimierte, genetisch veränderte Menschen für die, die es sich leisten können, und soziale Konflikte. Losgelöst von der Sinnfrage der menschlichen Existenz beginnt das Sicherheitsbedürfnis ein metastasierendes Eigenleben zu führen. Die Orientierung für den Einzelnen ist ungeheuer schwer geworden, das Individuum auf der Ich-Suche implodiert förmlich vor lauter ‚Multi-Optionalität der Lebensentwürfe‘ (Peter Gross). Doch da ist keine Festung, kein gralsähnliches Super-Ich, kein letzter, nun entdeckter Gott, nur die Angst vor dem Tod und das Bedürfnis nach Unsterblichkeit. Ältere Menschen wollen nicht mehr alt aussehen, jüngere ihr Aussehen noch optimieren. Der Schönheitswahn füllt die Kassen der plastischen Chirurgen und ist doch nur ein Opfer vorproduzierter Schönheitsideale (Marianne Schrader).

Die großstädtische Realität ist ein Kampfplatz, Utopia zu bauen und mit Leben zu erfüllen, ist nicht gelungen, vielmehr sind dekorierte Schuppen als Kennzeichen postmoderner Architektur bis in die Vororte eingedrungen (Ulf Jonak).

Auch die systematische Planung und Kontrolle der Alltagsabläufe ist kein Ausweg. Uns droht ein Leben im Überwachungsstaat, weil wir damit einverstanden sind (Jochen Becker). Die Vorzüge des Internets ‚preist‘ in diesem Zusammenhang der spanische Soziologe Vicente Romano, denn das Internet erleichtert nicht nur die Kommunikation zwischen den Menschen, sondern ebenso zwischen Terroristen und Geheimdiensten. Dabei sind die Themen der Menschen gleich geblieben und können nicht in ‚Echtzeit‘ gelöst werden.

Wieviel Prinzip Hoffnung kann man sich dann sehenden Auges leisten? Jürgen Wertheimer’s Blick auf zukünftige Gesellschaftsmodelle fällt skeptisch, ernüchternd, spöttisch, hoffnungsvoll, ambivalent aus. Sicher ist für ihn nur, dass die neuen Diktatoren als Freunde auftreten werden. Ungeachtet dessen reagieren Menschen auf weltweite politische und Wohlstandsverwerfungen mit Migration und Völkerwanderung. Aron Ronald Bodenheimer, jüdischer Psychoanalytiker in der Schweiz, plädiert gegen den Fremdenhass der Heimatliebe und für die Kreolenkultur der Vermischung. Was bleibt noch? Zukunft passiert jetzt, deshalb Verweigerung gegen Bildüberflutung und Simplifikationen, statt dessen öffentliche Meinungsäußerung und informelle Selbstbestimmung, Sicherung demokratischer Medien, Selbstgewissheit als prinzipielle Ich-Ungewissheit.

Aldous Huxley schlug vor nahezu siebzig Jahren eine andere Weltformel vor: Zuchtauswahl durch Klonen + dauerhafte Jugendlichkeit + permanenter Lustgewinn + wirtschaftlicher Wohlstand = Glück. Welche sich durchsetzen wird, liegt letztlich an der viel beschworenen Zivilgesellschaft, d. h. an jedem einzelnen Leser, Wähler, Bürger.