Meinungsfreie Meinungsfreiheit
Medien – Die vierte Macht im Staat?
72. Jahrestagung der Interdisziplinären Studiengesellschaft e.V.
Hamburg, 25.-27. September 2015
— ABSTRACTS —
- Stephan Dreyer: Schneller, massentauglicher, klickbarer?
- Dirk H. Lorenzen: Wie gut und gründlich sind Recherchen?
- Florian Schwinn: Schnitt, Ausschnitt, Format. Warum Manipulation Teil der Medien ist
- Miriam Bunjes: Innere Pressefreiheit und die journalistische Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit
- Vera Kattermann: Zur Bedeutung der Medien in Vergangenheitsarbeit und Vergangenheitspolitik
- Georg Michael Hafner: Warum Journalisten keine Antisemiten sind
- Peter Welchering: Online-Journalismus, Blogs, Twitter, Facebook: Zwischen Aufklärung und Propaganda-Krieg
- Jan Krone: Statement
- Kathrin Fischer: Öffentlichkeitsarbeit – Die Macht der Medien aus Sicht einer Hochschulpressesprecherin
- Isabella Schels : Statement
- Roman Ebener: Statement
Stephan Dreyer: Schneller, massentauglicher, klickbarer?
Die Herausforderungen aktueller Entwicklungen im Journalismus für das bisherige Verständnis von Meinungsfreiheit.
Das Bundesverfassungsgericht folgt einem Konzept der verfassungsrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit, das im Kern von einem diskursiven Öffentlichkeitsprinzip ausgeht: Meinung und Widerrede, Überzeugung und überzeugen lassen, Abwägung und Neubewertung. Den Medien kommt in diesen Auseinandersetzungen die Funktion als Medium und Faktor zu, die einen gesellschaftsweiten Verständigungshorizont schaffen: Sie integrieren die Gesellschaft, sie konstruieren Realität und sie schaffen Öffentlichkeit. Folgt man einer demokratietheoriegeleiteten und diskurszentrierten Lesart der Meinungsfreiheit, sieht sich das Gedankenmodell angesichts journalistischer Teilpraktiken aktuellen Herausforderungen gegenüber: Publizistischer und ökonomischer Wettbewerbsdruck, Veränderungen in der Mediennutzung und strukturelle Entwicklungen auf Anbieterseite führen zu einer Reihe kritischer Vorwürfe gegenüber Teilen der derzeitigen journalistischen und publizistischen Praxis. Der Vortrag kategorisiert diese Entwicklungen und Vorwürfe und ordnet sie vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Interpretation der Meinungsfreiheit ein. Entspricht das Verständnis von Art. 5 GG noch der Medienrealität?
Dirk H. Lorenzen: Wie gut und gründlich sind Recherchen?
Recherchieren war noch nie so einfach wie heute: Datenbanken, Fachzeitschriften, ganze Bibliotheken, Aktenbestände und vieles mehr sind online abrufbar – fast jeder Faktencheck ist kaum mehr als einen Klick entfernt. Fehler in der Alltagsroutine sind für Journalisten nur noch schwer entschuldbar.
Das journalistische Aufdecken verdeckter Machenschaften ist dagegen fast so schwierig wie eh und je. Es zählen die alten Tugenden: Rausgehen, Menschen treffen, beobachten, fragen, zuhören, nachhaken, hinter die Kulissen schauen etc. Immerhin machen neue Regelungen wie das Informationsfreiheitsgesetz den Zugang zu vielen Dokumenten sehr viel einfacher.
Die Güte und Gründlichkeit einer Recherche zu beurteilen, ist meist sehr schwierig. Denn es lässt sich oft nicht sagen, ob wirklich „alles“ erfasst ist. Erstaunlicherweise meinen dennoch viele Mediennutzer (und keineswegs nur die „Lügenpresse“-Schreihälse), heute würde viel schlampiger recherchiert als früher. Das mag daran liegen, dass in Blogs und Internetforen stets viele andere „Wahrheiten“ auftauchen, die – und seien sie noch so abstrus und offensichtlich falsch – als gleichberechtigte Möglichkeiten wahrgenommen werden.
Tatsächlich wird in Zeiten knapper Kassen hier und da bei der soliden Recherche gespart. Die Story muss schneller „rund“ sein – online ist immer Redaktionsschluss. Wirklich offene Recherchen, die auch dazu führen können, dass ein Thema doch nicht trägt, finden in manchen Medien immer seltener statt. Zeit- und Kostendruck führt zu Oberflächlichkeiten oder Fehlern. Manche Medien kompensieren dies, indem sie ihre Kräfte bündeln, etwa beim Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung – einer nicht unumstrittenen Kooperation von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und einem kommerziell arbeitenden Verlag.
Wie gut und gründlich Recherchen sind, entscheiden vor allem zwei Faktoren: Die Professionalität der Journalisten – und die Bereitschaft von Lesern/Zuschauern/Zuhörern, sich diese Professionalität etwas kosten zu lassen.
Florian Schwinn: Schnitt, Ausschnitt, Format. Warum Manipulation Teil der Medien ist
„Ich bin der Schnitt!“ hat der Dokumentarfilmer Eberhard Fechner einmal auf die Frage einer seiner Zuschauerinnen nach seiner Arbeit gefragt. Die Frage war berechtigt, weil Fechner in seinen Filmen nicht vorkam. Er schaffte es, durch geschicktes Fragen die Opfer und Täter der deutschen Nazivergangenheit zu den Erzählern seiner Filme zu machen. Natürlich war Eberhard Fechner auch die Wahl der Perspektive, des Drehortes und durch seine Fragen der Dramaturg, er hat seine Antwort aber ganz bescheiden auf diese eine reduziert: den Schnitt. Und er hat damit jedem Blattmacher und Programmmacher ganz unbescheiden in Erinnerung gerufen, worauf es ankommt: Auf die Wahl des Aus-Schnitts und den Zu-Schnitt des Materials.
Darum geht es nicht nur bei der langfristigen Arbeit an Feature und Dokumentation, darum geht es auch im hektischen Alltag der aktuellen Medien. Jeden Tag wird zigfach und unter Zeitdruck entschieden, welcher Ausschnitt der Realität gezeigt, welcher weggelassen wird, welche Frage gestellt und welche weggelassen wird, was von der Antwort weggeschnitten und was gedruckt oder gesendet wird.
Weil diese Auswahl sein muss, geht es bei dem, was die Medien transportieren, immer um Manipulation. In dem Moment, in dem ein Geschehen medial transportiert wird, ist der Eingriff zwingend. Die Frage ist, ob bei dieser Manipulation die Hände sauber bleiben können – Mani pulite. Und was mit dem geschieht, was die Reporter, die Redakteure, die Kameraleute, die Cutter, die Regisseure, die Schlussredakteure, die Layouter weitergeben. Welcher Ausschnitt des Ausschnitts wird aufgenommen und wie wird er weitergegeben.
Seit es eine zweite mediale „Realität“ im Netz gibt, haben die wissentlich entstellenden Manipulationen einen neuen Ort und Antrieb.
Miriam Bunjes: Innere Pressefreiheit und die journalistische Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit
Versteckte Werbung in redaktionellen Medien, prekäre Bedingungen in Ausbildungsberufen, Millionen aus Gerichtprozessen, die unkontrolliert verteilt werden: Jedes Jahr gehen relevante Themen in den deutschen Medien unter – obwohl sie viele Menschen betreffen und Auswirkungen auf das Zusammenleben in einer Gesellschaft haben. Und obwohl Pressefreiheit – und die Abwesenheit von Zensur – in Deutschland ein Grundrecht sind. Die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA), ein medienkritischer Verein aus Journalisten und Wissenschaftlern, stellt seit fast zwanzig Jahren jährlich mit den „Top 10 der vernachlässigten Nachrichten“ einige dieser Themen vor – zum einen mit dem Ziel, diese Themen doch noch an die Öffentlichkeit zu bringen. Zum anderen aber auch, um die strukturellen Gründe für die Vernachlässigung relevanter Themen zu hinterfragen.
Am Beispiel der von der INA- Jury gewählten vernachlässigten Themen lässt sich die Frage nach dem Zustand der inneren Pressefreiheit in Deutschland analysieren und auch Korrekturmöglichkeiten für die so aufgeworfenen Strukturprobleme im Journalismus diskutieren. Gerade komplizierte Themen, die einen langen Atem in der Recherche erfordern und deren Ergebnisse vorher nicht absehbar sind, werden von vielen Medien gemieden, zeigt der Blick auf die vernachlässigten Nachrichten Deutschlands. Auch Themen und Positionen, hinter denen keine einflussreichen Gruppen stehen, haben es deutlich schwerer in den Mainstream-Medien Gehör zu finden – was damit umso stärker für Themen gilt, die aktiv von Interessensvertretern verschleiert werden.
Wie frei Journalisten Themen wählen, ist auch eine ökonomische Frage, zeigen die Analysen der INA: Eine Frage von Rechercheressourcen innerhalb der Verlage, aber auch eine der Organisation von Journalismus insgesamt. Dass sich die innere Pressefreiheit, in Deutschland in den letzten Jahren verschlechtert hat, der Druck durch Vorgesetzte und Anzeigenkunden auf sie erhöht, finden viele Journalisten, zeigen auch Umfragen der Journalistenverbände. Eine Entwicklung, die bei der Erfüllung der ethischen Grundpflicht von Journalisten – Relevantes öffentlich zu machen – offensichtlich behindert und mit zu dem hochaktuellen Glaubwürdigkeitsverlust des Journalismus beiträgt.
Vera Kattermann: „Erinnern, damit nie wieder…?“
Zur Bedeutung der Medien in Vergangenheitsarbeit und Vergangenheitspolitik
Für die deutsche Gesellschaft lässt sich im Gedenken an Rahmendaten der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs aktuell eine Hochkonjunktur sozialen Erinnerns diagnostizieren. Auch international wird die Notwendigkeit von öffentlichen Erinnerungsleistungen nach politischen Konflikten immer wieder eindringlich beschworen, bisweilen schon stereotyp eingefordert. Das „Erinnern, damit nie wieder….“ ist zu einem zentralen Glaubenssatz postmoderner Diskurse geworden, hat dabei zugleich aber auch zu einer Art „Erinnerungsverdruß“ geführt. Im öffentlichen Gedenken werden bisweilen die routinierten Erinnerungsleistungen, garniert mit emotionalem Dekor, kritisiert. Das Pathos wirke unecht und aufgetragen. Vor diesem Hintergrund ist das eigentlich psychoanalytisch begründete Postulat einer Erinnerungsarbeit zum Zwecke zukünftiger Konfliktprävention eingehender zu befragen. Während die Psychoanalyse als Therapiemethode in der öffentlichen Diskussion eher als unmodern und ineffizient kritisiert wird, scheint ihr Kerngedanke der heilenden Wirkung von Erinnerung für politische Anwendungen äußerst attraktiv zu sein. Grund genug, die Prämissen aus psychoanalytischer Warte einmal eingehender auszuleuchten: Welche expliziten und welche impliziten Erwartungen richten sich eigentlich an das kollektive Erinnern? Welche Prozesse sind hierfür bestimmend? Und welche Rolle spielen die öffentlichen Medien in diesem Prozess? Soviel aber scheint klar: Das kollektive Erinnern entzieht sich dem Anspruch steuernder Kontrolle; gerade in seiner emotionalen Qualität versperrt es sich, arbeitet am Vergessen und ist notwendigerweise Abwehrgeschehen unterworfen. Ansprüche nach quasi perfekter, glatt-gelingender Erinnerungsarbeit sind somit im Kern absurd, der gern verwendete Begriff der „Vergangenheitsbewältigung“ hat sich schon lange als obsolet erwiesen. Die vielschichte Qualität erinnernder gesellschaftlicher Auseinandersetzung zu verstehen bedeutet, ihre immanente Gebrochenheit, ihre partiellen blinden Flecken und ihre anhaltende Vorläufigkeit anzuerkennen – gerade auch angesichts des äußerst spannungsreichen Verhältnisses von Erinnerungswunsch, Wiederholungsneigung und den Erfordernissen und Machtinteressen nationaler Vergangenheitspolitik
Der Vortrag beleuchtet im Rekurs auf Sigmund Freuds therapeutischer Grundforderung nach „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ einige Hürden und Fallstricke gesellschaftlicher Vergangenheitsarbeit und stellt ein neues Konzept zum Verständnis kollektiven Erinnerns vor. Fallbeispiele aus unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten unterfüttern die vorgestellten Thesen.
Georg Michael Hafner: Warum Journalisten keine Antisemiten sind
Journalisten sind Aufklärer und damit sozusagen von Berufs wegen unverdächtig, Antisemiten zu sein. Antisemiten sind immer die anderen. Wenn nun aber 15-20% der Deutschen latent als antisemitisch gelten, würde es gegen jede statistische Erfahrung sprechen, dass darunter ausgerechnet keine Journalisten sind.
Sind deutsche Journalisten also doch eher antisemitisch grundiert? Wenn 68% der Deutschen sagen, Israel führe einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Palästinenser, dann wäre es schon verwunderlich, wenn ausgerechnet deutsche Journalisten in diesem Punkt geschlossen anderer Meinung wären als ihre Kunden. Natürlich sind sie damit mehrheitlich noch keine Antisemiten.
Nun kann man mit einem gewissen Recht einwenden, dass Journalisten überall auf der Welt nur schockierende Nachrichten verbreiten. Nicht der pünktlich eingetroffene Zug ist erwähnenswert, sondern der verspätete. Anders gesagt: Stimmung wird nicht nur mit den Meldungen gemacht, die verbreitet werden, sondern auch mit denen, die nicht gemeldet werden. Israel ist eines der innovativsten Länder der Welt. Hier wurde das erste Solarfenster gebaut, die Firewall erfunden und der USB-Stick. Es ist das Land mit den meisten Start-Ups weltweit, junge israelische Unternehmen erwirtschaften allein mit Exporten der Softwareindustrie über 2 Milliarden Euro. In Relation zur Bevölkerungszahl fließen in Israel 30mal mehr Risikokapital als in Europa. Keine Nachricht? Besser verkaufen lässt sich dagegen die Meldung, dass kürzlich die UN-Weltgesundheitsorganisation, bizarrer Weise auf Antrag Syriens, Israel mit einer Resolution an den Pranger stellt, weil es mit gezielten Militäreinsätzen in Syrien „die Gesundheit der syrischen Bürger“ gefährde. Dass derselbe Staat ein Lazarett auf dem Golan unterhält, um verwundete Kämpfer aus Syrien zu versorgen, dafür gibt es keine Zeile. Auch nicht für die monatlich 30 syrischen Patienten, die in Haifa im Ramban-Krankenhaus eingeliefert und gerettet werden. Oder, dass in einem der renommiertesten Krankenhäuser des Landes, dem Hadassa-Krankenhaus bei Jerusalem, Juden, Moslems und Christen ohne Unterschied behandelt werden? Sind das Nachrichten, die dem Zerrbild vom Apartheitstaat Israel so zuwiderlaufen, dass man sie lieber wegläßt? Oder glaubt man den Meldungen nicht, weil sie Propaganda sein könnten? Wie etwa die in der Tat ungeheure Nachricht, die wir in keiner deutschen Tageszeitung haben lesen können: Während des Ramadan 2013 durfte über 1 Million Palästinenser nach Israel einreisen. Wenn ein Redakteur diese Meldungen in den Papierkorb schiebt, dann ist er noch kein Antisemit, er ist nur ein fahrlässiger Antisemit. Er ist es auch dann, wenn er dazu schweigt, was sich im von Israel geräumten und von der Hamas geknebelten Gaza abspielt. Weder wird die nicht existierende Pressefreiheit thematisiert, die Verfolgung und Demütigung von Schwulen und Lesben, noch die Rechtswillkür. Lynchjustiz, Hinrichtungen, Folter, Isolationshaft. Diese Berichterstattung hat System. Verstöße Israels werden berichtet, palästinensische Menschenrechtsverletzungen weitgehend ignoriert. Eine halbe Wahrheit aber ist eine ganze Lüge…..
Antisemitisch zu sein, ist nämlich längst nicht mehr gesellschaftlich geächtet, auch nicht in den Medien. Antisemitismus aber zu benennen, das ist das wahre Tabu.
Peter Welchering: Online-Journalismus, Blogs, Twitter, Facebook: Zwischen Aufklärung und Propaganda-Krieg (verkürzte Fassung)
Weltweit nutzen zwei Milliarden Menschen ganz aktiv soziale Medien. Sie bloggen, twittern und posten, Und damit decken sie Skandale auf, die in früheren Zeiten unaufgedeckt geblieben wären. Sie sorgen für eine Meinungsvielfalt, die noch unsere Elterngeneration für reine Utopie hielt. Sie wollen damit eine Transparenz schaffen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf Dauer absichern. Doch die das wollen, sind nicht die einzigen Netzbewohner. So nutzen zum Beispiel viele Staaten und ihre Geheimdienste Twitter, Facebook & Co für ihre Propaganda und sogar für Desinformation.
Das US-Außenministerium investiert beispielsweise jährlich etwas über eine Milliarde Dollar in „Public Diplomacy“ genannte sogenannte strategische Einflusskommunikation“. Ein großer Teil des Geldes fließt in die Förderung von Blogs und an Netzagenturen, die die amerikanische Regierungssicht via Twitter und Facebook verbreiten. Der Auslandsnachrichtendienst der USA hat eine eigene Abteilung für Einflusskommunikation im Internet aufgebaut, die sowohl eigene Mitarbeiter beschäftigt, als auch Agenturen mit einzelnen Kampagnen beauftragt. Die hierfür zur Verfügung stehenden Mittel werden auf 1,5 Milliarden Dollar geschätzt……..
Die russische Netzpropaganda ist im Wesentlichen eine Gemeinschaftsarbeit der Akademie des russischen Innenministeriums in Wolgograd und der Akademie des Inlandsgeheimdienstes FSB in Woronesch.Umgesetzt wird dieses Konzept in ganz konkrete propagandistische Postings und Tweets von eigens gegründeten Agenturen, die in engem Kontakt zu Instrukteuren des Nachrichtendienstes des Präsidenten, abgekürzt FSO, stehen. Eine dieser Agenturen hat ihren Sitz in Sankt Petersburg und nennt sich „Internet Forschungsagentur“……..
Nicht immer sitzen Menschen an den Rechnern, um den Standpunkt der Regierung darzustellen, Gegner zu verunglimpfen und aller Welt zu zeigen, wer die Guten und wer die Bösen sind. Propaganda-Bot genannte Software macht das ohne menschliches Zutun. So hat der russische Auslandsgeheimdienst allein im vergangenen Jahr mehr als eine Million US-Dollar in ein Entwicklungsprojekt namens Storm-13 gesteckt. Im Projekt Storm-13 soll Software entwickelt werden, die über die ganze Welt verteilte Propaganda-Bot-Netzwerke steuern kann. Mehrere Millionen Propaganda-Bots sollen die Stimmung in allen gängigen Netzwerken im Sinne der russischen Regierung beeinflussen. Auch die amerikanischen Militärs sind in Sachen Propaganda-Bots äußerst umtriebig. So lässt die Forschungsagentur des Pentagon, die Defense Advanced Research Project Agency, bereits seit mindestens sechs Jahren Propaganda-Bots entwickeln. Das Cyber Command des US-Militärs setzt diese Software auch für gezielte Desinformation und Stimmungsmache im Internet ein. Doch nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland haben die Bedeutung von Propagandamaßnahmen im Internet und insbesondere in den sozialen Medien erkannt. Die entsprechenden Strategien werden unter dem Titel „information warfare“ zusammengefasst. Weil ab 2009 die Bedeutung sozialer Plattformen zugenommen hat, haben die Propagandaexperten der Militärs von mehr als 50 Staaten entsprechende Social-Media-Kampagnen aufgesetzt. Verglichen mit der Zahl der Staaten, die über digitale Waffen für den Netzkrieg verfügen, scheint diese Zahl recht gering. Denn immerhin haben 150 Staaten den Vereinten Nationen im Herbst des Jahres 2010 mitgeteilt, dass ihre Streitkräfte mit Trojanern und anderer Schadsoftware ausgestattet sind….
Seriöser (Online-) Journalismus muss derartige Manipulationen und Einflussnahmen erkennen und benennen. Journalisten müssen kritisch jede Quelle im Web und auf sozialen Plattformen analysieren. Doch mit den dafür notwendigen Methoden der Online-Recherche sind die meisten Journalisten völlig überfordert. Ihnen fehlen oftmals das Wissen und die Zeit, Netzkommunikation kritisch zu überprüfen. Die daraus resultierende Gefahr liegt auf der Hand: Journalismus droht, zum Erfüllungsgehilfen staatlicher Propaganda zu werden.
Jan Krone: Statement (verkürzte Fassung)
In der Praxis angelangt, stellt sich die Problematik des Medienwandels, der Ausfaltung von Kommunikationsoptionen sowie Herstellung von Öffentlichkeit folgendermaßen dar: Internationalität, Überregionalität, Regionalität, Lokalität im direkten Austausch mit privater Kommunikation erfordern ein daran angepasstes Medienverhalten des Filterns; des Ein- oder Ausblendens journalistischer Angebote unter der stabilen wie oszillierenden Maßgabe individueller Gratifikationserwartungen…
Die Theorie der verzerrten Wahrnehmung besagt, es sei empirisch belegbar, dass je unbekannter ein Empfänger der gleichen Informationsquelle ist, desto höher sei der Grad der Beeinflussung durch journalistische Beiträge. In der scheinbaren Nähe der Gesellschaft zueinander durch digitale Kommunikationsorganisation erhöhe sich der Anteil sichtbarer, aber dennoch fremder Informationsempfänger und damit Misstrauen, nicht nur gegenüber der Wirkung von Botschaften, sondern in der Folge gegenüber den Informationsmittlern als Urheber für vermutete Beeinflussung…
In der Praxis ist Journalismus nicht zwangsläufig „leistungsfähig“ (je nach Definition von Leistungsfähigkeit; „Investigativer Journalismus“ ist seit jeher quantitativ mehr Ausnahme als Regel) und erhebt genauso wenig den Anspruch auf Gewissenhaftigkeit. Lutz M. Hagen (Kommunikationswissenschaft, TU Dresden) trägt generelle Befunde zu Journalismus vor: Der Journalismus neige zur Selbstbezüglichkeit sowie larmoyanter Kritikresistenz, Falschmeldungen gehörten zum Journalismus, Nachrichtenfaktoren bedingten die Nachrichtenagenda. Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und Institutionen (Lobbyismus; ‚“5. Gewalt“) beeinflussten die publizierten Nachrichten ebenso wie Werbe- und Anzeigenkunden…
Der partiell identifizierbare Schulterschluss zwischen Verwaltung und Redaktion zur Steigerung von Reichweiten für die Werbevermarktung erzeugt ein hochgradig oszillierendes Pendeln zwischen dem Selbstverständnis eines Journalismus als Kultur- oder Wirtschaftsgutes. Nachrichten-Relevanzfaktoren scheinen sich im Medienwandel stärker nach der Sensation auszurichten, denn nach reflektierter Relevanz. Innovationsglauben an vermeintlich für das Publikum unabdingbare Schnelligkeit gegenüber Wettbewerbern können Ansprüche an Recherche, Überprüfungen und Einordnungen zurücklassen. In Form von redaktionell bearbeiteten Artikelüberschriften und Teasern (die eigentlichen Autorinnen und Autoren von journalistischen Stücken haben hierauf in der Regel keinen Einfluss), die als komödiantische, quasi-satirische Aufmacher einerseits Publikum anlocken sollen, können andererseits zur Verwechselung der journalistischen Genres Information und Unterhaltung führen.
So kann der Journalismus Gefahr laufen, sich nah am Publikum zu befinden und es doch weit zurück zu lassen, wenn die medienwirtschaftliche Hilflosigkeit und/oder Eitelkeiten im publizistischen Wettbewerb implizit die Agenden des täglichen Wirkens bedingt…
Die Ausübung einer sogenannten „4. Gewalt“ ist keine gesellschaftliche Verpflichtung für Journalisten, sondern vielmehr ein Angebot der Gesellschaft an sich selbst, wehrhaft, plural und fortschrittlich im Sinne der Aufklärung sein zu können. Es ist ebendem die freie Entscheidung der Akteure des redaktionellen Medienbetriebes, diese Freiheiten zu nutzen oder nicht…
Kathrin Fischer: Öffentlichkeitsarbeit – Die Macht der Medien aus Sicht einer Hochschulpressesprecherin
Öffentlichkeitsarbeiter*innen klagen gerne über das Desinteresse der Medien an ihren Themen. Das, könnte man sagen, ist das Los glückloser Lobbyist*innen. Seit meinem Seitenwechsel vom Journalismus in die Kommunikationsabteilung der Europa-Universität Flensburg 2012 beschäftigen mich weniger die offensichtlichen Veränderungen in den Medien wie beispielsweise: Ausrichtung von Themen nach Unterhaltungskritikpunkten, wenig Interesse, komplexe Themen anzunehmen, Unterbesetzung von Redaktionen samt zunehmendem Arbeits- und Erfolgsdruck. Es ist mehr die Bestürzung darüber, dass das, was ich immer als den Versuch wahrgenommen habe, einigermaßen objektive Berichterstattung zu leisten, sich als Illusion entpuppt, sobald man auch die nichtberichtete Geschichte hinter der medialen Aufbereitung kennt. Statt abwägender Recherche prägen oftmals Vorurteile, Kampagnen und unzulässige Verkürzungen die Berichterstattung sowie ein erstaunlicher Mangel an Bewusstsein über die Macht der Deutungshoheit, die Journalist*innen dadurch besitzen, dass sie diejenigen sind, die die Geschichte aus ihrem Blickwinkel erzählen. Ob ein Ministerrücktritt medial erzwungen werden soll oder eine Landesregierung in investigativer Attitüde permanent unter Kritik gestellt wird, ob internationale Themen wie Ukraine und Griechenland oder regionale wie eine Lehrerbildungsreform in einem Bundesland – Journalist*innen verfolgen immer wieder offenbar eigene Interessen jenseits der Verpflichtung auf eine faire Berichterstattung, und sie nutzen ihre Macht, das zu tun, ganz einfach: Indem sie es tun.
Die Medien als „vierte Macht im Staat“: Das heißt informieren und aufklären, durch investigativen Journalismus Missstände aufdecken, den Schwächeren und Lobbylosen eine Stimme geben.
Journalismus besteht nicht nur aus Nachrichtenberichten und Kommentaren. Journalismus ist vor allem auch das, worüber man nicht berichtet und was man nicht kommentiert.
Themen auszuwählen, neue Aspekte zu finden, Informationen zu verdichten, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, Arbeitshypothesen aufzustellen, einen Rechercheansatz zu finden, glaubwürdige Quellen zu erschließen, die Mächtigen zu konfrontieren, Vorwürfe zu verifizieren, Rechercheergebnisse einzuordnen, Informationen auszuwerten, Gegenargumente zu überprüfen, … – es gibt so vieles, worauf es im Journalismus ankommt.
Die erste Stärke oder Schwäche zeigt sich bereits bei der Themenauswahl: Was ist relevant, was nicht – was kommt über die Medien in die Öffentlichkeit, was bleibt unbeachtet?
Und dann kommt es vor allem auf die Recherche an – sicherlich auch auf die Umsetzung der Ergebnisse in einer für den Rezipienten attraktiven Form. Schließlich will ich ja möglichst viele Menschen mit meiner Geschichte erreichen.
Dennoch: Recherchen sind das Wichtigste und in der Regel das Langwierigste zur Aufdeckung von Missständen – sie müssen deshalb dementsprechend honoriert werden.
Recherchen haben auf eine gewisse Art Ähnlichkeit mit den Ermittlungen einer Staatsanwaltschaft. Sie gehen einem Anfangsverdacht nach. Man sucht nach belastenden wie entlastenden Beweisen und Zeugen. Man trägt alles zusammen, und muss es im Zweifelsfall klar, gerichtsfest belegen können.
Für Rechercheure ist es stets eine Gratwanderung zwischen Hartnäckigkeit und der Abschätzung, dass weiteres Bohren keinen Zweck mehr hat. Diese Gratwanderung zu meistern, ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines investigativen Journalisten.
Es fällt in der Regel immer schwer, ein Thema, das ich selbst entdeckt habe, ad acta zu legen. Denn ich will das unbedingt zu Ende bringen. Schließlich steckt da sehr viel Interesse, Herzblut und Zeit dahinter. Sich von einer aufwändigen Recherche zu trennen, obwohl man weiß, diese Geschichte wäre eigentlich super, und man weiß, es gibt diese entscheidenden Zeugen oder Unterlagen, aber ich komme nicht ran oder es will keiner mitmachen, das fällt einem schwer. Da heißt es trotzdem, sich neu zu motivieren, sich einer neuen, aktuellen Geschichte zu widmen.
Roman Ebener: Statement (verkürzte Fassung)
Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Medien, die ihre Verantwortung der Gesellschaft gegenüber hemmungslos vernachlässigen. Objektiv zu informieren und dabei Persönlichkeitsrechte zu wahren, Inhalte von Anzeigen und Nachrichten von Meinung zu trennen, steht bei diesen Medien nicht an oberster Stelle. Populismus verkauft sich eben besser. Dabei können die Fälle auch sehr komplex sein. So hat zum Beispiel die Veröffentlichung von Fotos und des vollständigen Namens des Germanwings-Piloten eine breite Debatte ausgelöst, wo die Grenze zwischen objektiver, notwendiger Information und Schutz der Persönlichkeitsrechte zu ziehen Ist. Eine generelle Orientierung bietet natürlich der Presse-Codex, allerdings wird er regelmäßig übertreten oder unterschiedlich streng ausgelegt. Daneben gibt es jedoch eine Reihe von Medienanbietern, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung sehr wohl bewusst sind: Sie informieren gewissenhaft und legen großen Wert auf die Überprüfung ihrer Quellen. Sie sind idealerweise unabhängig von den Interessen externer Geldgeber und kennzeichnen deutlich, wenn es sich um Meinungen von Einzelpersonen oder Unternehmen handelt.
Gesellschaftliche Verantwortung meint meiner Meinung nach aber insbesondere die Verantwortung bei der und zur Weitergabe von Informationen. Auch wenn von Seiten der Politik des Öfteren argumentiert wird, dass Themen für den einzelnen Bürger zu komplex seien und deshalb eine Entscheidung hinter verschlossenen Türen sinnvoller wäre, so ist doch gerade dies die Aufgabe der Medien: Den selbstbestimmten Bürgerinnen und Bürgern in der Demokratie alle verfügbaren Informationen zur Verfügung zu stellen, damit jede und jeder Einzelne in der Lage ist, sich selbst ein Bild zu machen. Um dieser demokratischen Funktion gerecht zu werden, ist notwendig, dass die Medien große Freiheiten besitzen. Das schließt alle Medien von Radio über Print bis zum Internet ein. Mit einer großen Besonderheit: Das Internet ermöglicht heute jeder und jedem Meinungen auf der ganzen Welt zu verbreiten. Dadurch wurde das Monopol der alten Medien aufgebrochen. Diese Möglichkeit Informationen schnell und ungefiltert auszutauschen hat maßgeblich dazu beigetragen, dass heutige Ansprüche an Transparenz und Berichterstattung viel größer sind. Aber nur so sind in einer demokratischen Gesellschaft Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt gesichert. Unbedingt sollten Medienmacher stets auch über die Auswirkungen ihrer Berichterstattung reflektieren, denn die (ungeprüfte) Reproduktion von Falschmeldungen erschüttert das Vertrauen in jede Berichterstattung.
Bei meiner Arbeit bei abgeordnetenwatch.de geht es in erster Linie darum, den Bürgerinnen und Bürgern verlässliche Informationen über Abgeordnete der Länderparlamente, des Bundestages und des Europa-Parlaments zur Verfügung zu stellen und ihnen die Möglichkeit zu geben mit den Politikerinnen und Politikern in Kontakt zu treten. Als Moderator zwischen Bürgerfragen und Politikerantworten auf Augenhöhe ist dabei unsere Aufgabe, einerseits den Politikern die Möglichkeit zu bieten, ihre Positionen darzulegen und andererseits Transparenz zu gewährleisten, indem Antworten gespeichert und auch noch in der nächsten Legislaturperiode öffentlich sichtbar sind. So wird abgeordnetenwatch.de zu einem digitalen Wählergedächtnis, mit dem die Aussagen von Abgeordneten mit deren tatsächlichem Handeln abgeglichen werden können…….
Wir sehen es als unsere gesellschaftliche Verantwortung, Themen auch abseits des Mainstream aufzugreifen und das Verlangen vieler Menschen nach einer transparenten und bürgernahen Politik an die Entscheidungsträger heranzutragen.