69. Jahrestagung — Schamlos

Hier finden sie das Programm und die Anmeldung als PDF.

 

Scham ist eine existentielle Grunderfahrung, ein Archetypus (C.G.Jung). Nacktheit, Sexualität, Defäkation, Körpergeräusche, Körpergeruch sind seit Jahrtausenden schambesetzt.

In der Antike, beispielsweise in der stark auf äußere Anerkennung fixierten Ideologie der römischen Oberschicht, ist /pudor/, „Scham“, „Schamgefühl“, das Gegenteil der stets angestrebten gesellschaftlichen Achtung. Die Scham ist, zugespitzt formuliert, die Reaktion auf gesellschaftliche „Ächtung“, und zwar unabhängig davon, ob der sich Schämende an der Diskreditierung selbst schuld ist oder nicht. Scham reflektiert das Reibungsverhältnis von öffentlicher und subjektiver Moral.

Heute wird in breitem Maße die Schamlosigkeit auf die Spitze getrieben. Gesellschaftlich, politisch, ökonomisch und im individuellen Verhalten scheinen alle Tabus und alle moralischen Grenzen gefallen zu sein. Wer heute von schmerzlichen Gefühlen geplagt wird und diese aufarbeiten möchte, hat die Wahl zwischen Beichtstuhl, Psychotherapeut und Talkshow. Seelischer Exhibitionismus und Schamlosigkeit, wie sie im RTL-Dschungelcamp praktiziert werden, bannt die Zuschauermassen an den Fernsehbildschirmen. Die Schamlosigkeit, mit der Politiker sich alimentieren lassen, macht fassungslos. Auch Deutschland ist nicht ohne Korruption, dem schamlosen Missbrauch von Vertrauensstellungen.

Als Hüterin menschlicher Würde hat die Scham die Aufgabe, Nähe und Distanz zu den Mitmenschen zu regeln. Angst-, Unsicherheits- und Minderwertigkeitsgefühle, Beschmutzung, Demütigung, hilflose Abhängigkeit und die Verletzung des Selbst, aber auch eigene Schuld, führen zur Scham. Wie gehen wir damit um? Was bedeutet das für die Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens? Entwickeln wir uns zu einer völlig schamlosen Gesellschaft oder schwingt das Pendel bereits zu einer neuen Form der Prüderie? Sind wir Zeitzeugen einer repressiven Entsublimierung der Scham?

Auf der 69. Jahrestagung der ISG setzen sich daher Politiker und Juristen, Künstler und Psychoanalytiker, Philosophen und Theologen, Alt- und Neuphilologen mit Scham, Schamlosigkeit, Schuld und Ekel auseinander. Die Auseinandersetzung mit Scham als einem menschlichen Gefühl führt zur Frage nach uns selbst, zu unserem Verhältnis zu den anderen und nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Scham.

München, im März 2011
Dr. Dieter Korczak
1. Vorsitzender der ISG

 

Freitag, 28. September 2012

  • 14:00 Eröffnung der Tagung — Dieter Korczak
  • 14:30 Schamlosigkeit in der Politik — Herta Däubler-Gmelin
  • 16:00 Kaffeepause
  • 16:30 Die Schamlosigkeit der Korruption — Edda Müller
  • 18:00 Ende des ersten Tages
  • 18:15 Mitgliederversammlung

 

Samstag, 29. September 2012

 

  • 09:30 Pudor. Zum Begriff der Scham in der römischen Antike — Karl-Wilhelm Weeber
  • 11:00 Zur Logik der Scham – eine aristotelische Analyse — Thomas Nisters
  • 12.30 – 14.00 Mittagspause
  • 14:00 Der schamlose Gott und sein Männerbund – Wotans Weg zur Erkenntnis, auf dem Rücken von Frau, Kind und Kindeskind — Selcuk Cara
  • 15:00 Scham und Schuld aus psychoanalytischer Sicht — Renate Remmler
  • 16:00 Scham, Schamlosigkeit und Schuld aus religiöser Sicht — Konrad Hilpert
  • 17:00 Interaktive Workshops zum Thema mit den Referenten/innen
  • 18:00 Uhr Ende des zweiten Tages
  • 19:30 Gesellschaftsabend der ISG

 

 

Sonntag, 30. September 2012

  • 10:00 Scham und Ekel in Literatur und den Medien — Jürgen Wertheimer
  • 11.30 Schlussdiskussion im Plenum / Formulierung einer Pressemitteilung

 

Referenten/innen

Selcuk Cara, freischaffender Opernsänger, Bass-Bariton, Promovend zum Thema: Wotans Familie – Verfall der Familienstrukturen in Richard Wagner’s Ring-Tetralogie

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, MdB (1972-2009), Bundesjustizministerin (1998-2002), Gastprofessorin an der RWTH Aachen, Honorarprofessorin FU Berlin

Prof. Dr. Konrad Hilpert, Katholischer Theologe, Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie an der LMU München, Mitglied des Ethikrats der Landesregierung Bayern

Dr. Dieter Korczak, Soziologe/Volkswirt, Leiter des Instituts- für Grundlagen- und Programmforschung, GP Forschungsgruppe, in München, 1. Vorsitzender der ISG

Prof. Dr. Edda Müller, Politikwissenschaftlerin, Vorsitzende Transparency International Deutschland, Honorarprofessorin Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer“, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (2001-2007), Umweltministerin in Schleswig-Holstein (1994-96)

Dr. Thomas Nisters, Privatdozent für (Praktische) Philosophie und ihre Didaktik, Studienrat im Hochschuldienst, Philosophisches Seminar der Uni Köln

Dipl. –Psychologin Renate Remmler, arbeitet seit 25 Jahren in eigener Psychologischer Psychotherapie-Praxis in Köln

Prof. Dr. Karl-Wilhelm Weeber, Lehrbeauftragter für die Didaktik der Alten Sprachen Ruhr-Universität Bochum, Honorarprofessor für Alte Geschichte Uni Wuppertal

Prof. Dr. Jürgen Wertheimer, Hochschullehrer für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Tübingen